Zum 200. Geburtstag von Honoré Daumier

Honoré Daumier (26. 2. 1808 bis 11. 2. 1879) war als Zeichner und Maler ein Epiker der Sitten im Paris des Dixneuvième. Seine Karikaturen über die politischen, sozialen und intimen Verhältnisse der Epoche verraten den genialen Beobachter, während die Gemälde und Zeichnungen ins Überzeitliche ausgreifen.

Von Martin Meyer

Im Kabinett der menschlichen Leidenschaften ist alles möglich, aber nur die Kunst schafft jene Distanz, aus welcher wir uns plötzlich wiedererkennen. Hier, im Medium von literarischer oder bildnerischer Darstellung, tritt uns der homo sapiens geläutert entgegen. Und das ganze Repertoire – vom Heroischen über das Leidende und das Gewöhnliche bis zum Erbärmlichen und Grotesken – besitzt nun die Fassung, die dem Studium zugänglich ist. Selbst Realisten wie Balzac und Zola waren Meister der Verwandlung. Was sie gesehen und aus der Banalität des Alltäglichen herausgegriffen hatten, erschien alsbald im Spiegel eines Texts, der seine Geschichten zu Exempla erhob – zu Lehrstücken, deren Moral auch Einspruch duldete, deren ästhetische Gebärde jedoch über die Zeiten hinausweisen wollte.

23. Februar 2008, Neue Zürcher Zeitung