Daumier-Ausstellung „Wahre Helden?“ – Anzeiger veröffentlicht Lithografien

GIESSEN (eb.) „Wahre Helden? – Daumier und die Antike“ ist der Titel einer Ausstellung, die heute um 18.30 Uhr in der Antikensammlung der JLU im Wallenfels’schen Haus (Kirchenplatz 6) eröffnet wird. Der französische Künstler Honoré Daumier (1808 – 1879) karikiert mit teils derbem Spott die bürgerliche Antikenbegeisterung des 19. Jahrhunderts und stellt die Verherrlichung des Altertums generell in Frage. In der Ausstellung zum 400. Geburtstag der Universität werden 32 ausgewählte Lithografien Daumiers gezeigt, die die Heroen des klassischen Altertums und ihre vorbildhaften Taten aufs Korn nehmen. Der Anzeiger wird während der Dauer der Ausstellung (vom 26. April bis 22. Juli) wöchentlich eine Lithografie veröffentlichen. Zum Auftakt: Menelaos als Sieger.

Die Lithografie zeigt eine Episode aus dem Sagenkreis um Troja, nämlich die Rückführung der schönen Helena durch Menelaos. Helenas Entführung durch den trojanischen Prinzen Paris – ein unglaublicher Affront und eine Entehrung sondergleichen, die unbedingt vergolten werden musste – war Ursache des zehnjährigen Kriegs gewesen, der schließlich mit dem Bau des trojanischen Pferdes durch den listenreichen Odysseus und der Eroberung der Stadt endete. Menelaos, so berichtet der Mythos, wollte seine untreue Frau zunächst töten, entbrannte aber, als er sie wieder sah, in neuer Liebe zu ihr und führte sie zurück in die Heimat.

In der antiken Kunst ist dieses Ereignis ein beliebtes Thema, vor allem in der attisch rotfigurigen Vasenmalerei der klassischen Zeit Griechenlands. Meist wird Menelaos als kraftvoller Held in voller Bewaffnung dargestellt, der mit gezücktem Schwert auf seine Frau zustürmt. Der Sinneswandel des Menelaos wird, wie hier auf einer Vase des Persephone-Malers (kl. Bild), so dargestellt, dass er – zusammen mit dem Schwert – auch die Absicht, Helena zu töten, fallen lässt.

Ganz anders als in der antiken Kunst zeigt nun Daumier diese Szene: Vor den lodernden Feuersbrünsten und den heftig rauchenden Trümmern der Stadt – links hinten ist sogar die Silhouette des trojanischen Pferdes auszumachen – erstreckt sich das mit zahllosen Leichen bedeckte Schlachtfeld. In gespreiztem Ballettschritt, das bluttriefende Schwert wie einen Regenschirm haltend, stolziert der mittlerweile wohlbeleibte Herrscher mit emporgerecktem Haupt über das Schlachtfeld und zieht sich den Spott seiner nicht mehr ganz so jungen und wenig anmutigen, mopsgesichtigen Frau zu. Von junger Liebe ist hier nichts zu spüren – aber Recht und Ehre, Anstand und Moral haben Genugtuung erfahren …

FaktenTitel der Lithografie: Menelaos als Sieger (DR 925); erschienen in: Le Charivari, 22. Dezember 1841. Vergleichsstück: Attisch rotfiguriger Glockenkrater des Persephone-Malers. Toledo (USA), Museum of Art, Inv. 67.154 (440-430 v. Chr.).

Katalog: M. Recke (Hrsg.), Wahre Helden? Daumier und die Antike. 120 Seiten, 89 Abb. BoD Norderstedt, 2007. ISBN 978-3-8334-8028-7 (zehn Euro)

GIESSENER ANZEIGER, 25.4.2007